Der Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg

Gedenkstele für Karl Liebknecht im TiergartenAm Abend des 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxem­burg zusammen mit Wilhelm Pieck in Wilmersdorf verhaftet. Wilhelm Pieck hat davon später berichtet: "Durch einen noch nicht aufgeklärten Verrat“ (als Pieck das schrieb, waren viele Einzelheiten des Verbrechens noch nicht aufgehellt!) „war aber den Weißgardisten bereits am nächsten Tag der neue Aufenthaltsort von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bekannt gewor­den. Als der Verfasser dieses Artikels am Abend des 15. Januar gegen 9 Uhr die beiden Genossen in ihrer Wohnung aufsuchen wollte, war die Wohnung militärisch besetzt und Karl Liebknecht schon verhaftet und abtran­sportiert worden. Rosa Luxemburg befand sich noch in der Wohnung und wurde von mehreren Soldaten bewacht. Auch ich wurde beim Betreten der Wohnung von den Soldaten festgenommen und durchsucht. Nach kur­zer Zeit kam eine Anzahl Soldaten unter Führung von zwei Zivilisten, die der Wilmersdorfer Einwohnerwehr angehörten, einem Ingenieur Lindner und einem Gastwirt Mehring, um die Wohnung zu durchsuchen. Sie zwangen Rosa Luxemburg, die wegen heftiger Kopfschmerzen im Bett lag, aufzustehen und sich anzukleiden, und nach kurzer Zeit wurden sie und ich auf die Straße geführt und genötigt, ein Auto zu besteigen, das nach kurzer Fahrt vor dem Eden-Hotel, einem der größten Berliner Hotels in der jetzigen Budapester Straße, hielt. ... Rosa Luxemburg wurde sofort in die erste Etage des Hotels gebracht, wo ein Hauptmann Pabst als sogenannter Gerichtsherr sie einer Vernehmung unterzog."

Getrennt wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ins Hotel gebracht. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von ihrer Gefangenschaft. Ein kollektiver Erregungszustand durchzitterte das Nobelhotel. »Tötet Lieb­knecht« hatten schon im Dezember Volksverhetzer auf unzähligen Plakaten gefordert, auch im Vorwärts, dem SPD-Organ, war in einem Schmähgedicht dazu aufgerufen worden.

In seinen unveröffentlichten Memoiren schrieb Pabst zur »Exekution« Lieb­knechts und Luxemburgs: „Daß sie durchgeführt werden mußte, darüber bestand bei Herrn Noske und mir nicht der geringste Zweifel, als wir über die Notwendigkeit der Beendigung des Bürgerkrieges sprachen.“

Zuerst wurde Liebknecht von den getarnten Marineoffizieren abgeführt. Um Aufsehen zu vermeiden, brachte man ihn zum Nebenausgang. Das wurmte jedoch den Jäger Otto Wilhelm Runge, der an der Drehtür des Hauptportals Wache stand. Denn Runge hatte 100 Mark bekommen, damit er Karl Lieb­knecht mit dem Gewehrkolben den Schädel einschlage. Runge sah, wie sein Opfer zu entschwinden drohte, rannte um das hermetisch abgeriegelte Hotel herum und kam gerade hinzu, als Liebknecht neben den Offizieren im Auto Platz nahm. Er versetzte ihm einen Kolbenschlag. Schwer getroffen sank Karl Liebknecht in den Sitz. Dabei tropfte Blut auf die Hose eines der Offi­ziere. Liebknecht sagte: „Es blutet“, doch keiner kümmerte sich darum. Das Auto fuhr los. Nach kurzer Fahrt hatten sich die Offiziere im Tiergarten „ver­franst“. Was dann passierte, schilderte einer der Beteiligten einem anderen Marinekameraden direkt am nächsten Tag. Horst Pflugk-Hartung „erzählte gegen die Verpflichtung absoluter Geheimhaltung, daß er bei der Überfüh­rung Liebknechts in das Gefängnis eine Autopanne im Tiergarten fingierte, Liebknecht dann am Arm nahm, um ihn zu führen, ihn absichtlich losließ, um ihm die Gelegenheit zu einem Fluchtversuch zu geben und dann nach kurzem Abwenden hinter L. herschoß; Liebknecht wurde getroffen und von mehreren Schüssen getötet“. Wer Liebknecht hinterrücks erschossen hat, ist belegt: die Offiziere Horst von Pflugk-Harttung, Ulrich von Ritgen, Heinrich Stiege und Rudolf Liepmann. Sie lieferten seine Leiche an der Rettungsstation gegenüber dem Eden ab. Dann gingen sie zu Pabst und meldeten Vollzug. Der ließ jetzt auch Rosa Luxemburg wegbringen.

Den daraufhin folgenden Mord an Rosa Luxemburg schildert E. Gumbel so: "Als Rosa Luxemburg durch den Haupteingang des Eden-Hotels fortgeführt wurde, stand derselbe Runge an der Tür. Hauptmann Petri hatte Befehl gegeben, man solle dafür sorgen, daß die Luxemburg nicht lebendig ins Gefängnis komme. Als Frau Luxemburg durch die Tür kam, schlug Runge ihr zweimal auf den Kopf, so dass sie umsank. Der den Transport führende Oberleutnant Vogel hatte nichts dagegen getan. Man schob Frau Luxemburg in den Wagen. Als der Wagen abfuhr, sprang ein Mann von hinten auf und schlug sie mit einem harten Gegenstand auf den Kopf. Unterwegs schoß Oberleutnant Vogel der Frau Luxemburg noch eine Kugel durch den Kopf. Man fuhr zwischen Landwehrkanal und Zoologischem Garten entlang. Am Landwehrkanal stand eine Gruppe Soldaten. Das Auto hielt, die Soldaten warfen die Leiche auf Befehl Vogels in den Kanal. Die am Mord Beteiligten ließen sich am Tage danach bei einem Saufgelage photographieren."

Die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts wird meist als Tat einer anonymen Soldateska oder irgendwelcher Freikorpsoffiziere dargestellt. Das ist nicht mal die halbe Wahrheit. Es waren Regierungstruppen. Sie hat­ten den Auftrag, die „Novemberrevolution“ von 1918 zu zerschlagen. Auf­traggeber waren führende Kräfte der SPD. Die drei wichtigsten - Ebert, Noske und Scheidemann - hassten die Revolution „wie die Sünde“ (Ebert) und erstickten sie im Verein mit den militaristischen Kräften im Blut.

Die rechtssozialdemokratischen Kräfte waren schon seit langem von den Positionen des Klassenkampfes abgegangen, traten für Formen der Zusam­menarbeit mit den bürgerlichen Kräften ein, wollten keine „vaterlandslosen Gesellen“ (Bismarck) mehr sein. Die angeblichen „nationalen“ Interessen Deutschlands, die sich in Wahrheit als Interessen des Kapitals, des Imperialismus und Militarismus erweisen, waren ihre Leitidee geworden. Auf dieser Grundlage befürworteten sie Rüstung, Kolonialkriege und stimmten sie 1914 den Kriegskrediten des deutschen Imperialismus und Militarismus zu. Wer diese imperialistische und militaristische Politik im Reichstag nicht akzeptierte, wie Hugo Haase, der wurde von den eigenen Genossen mit Fäusten geschla­gen, als „Frecher Halunke“ (Ebert, SPD), als „Drecksseele“ (Scheidemann, SPD), als „Judenjunge“ (Bauer, SPD) oder als Teil einer „Judenbande“ (Legien, SPD) beschimpft und aus der Partei geworfen.

Gedenkstele für Rosa Luxemburg am Landwehrkanal in BerlinKein Wunder also, dass Ebert noch am Abend der Revolution (9. Novem­ber 1918) in einem Telefonat mit dem Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) Groener ein Bündnis schloss. Hauptinhalt war laut eidlicher Aus­sage Groeners die „Bekämpfung des Bolschewismus“. Unter Bolschewismus verstanden Ebert und seine Genossen die eigenen Arbeitermassen, die basisdemokratischen Arbeiter- und Soldatenräte, welche die Zerschlagung des Militarismus, die Errichtung des Sozialismus wollten. Das machte die Führer der SPD zu Bündnispartnern des alten Militarismus. Der aber benutzte die Sozialdemokratie so lange, bis er sich wieder regeneriert hatte, fest im Sattel saß, um sich dann ihrer, auch später mit Hilfe der Nazis, zerschlagen zu können.

In diesen Monaten schlug die Stunde eines Offiziers, der sich zum faktischen Befehlshaber einer kaiserlichen Elitetruppe gemacht hatte, der Gardekaval­lerieschützendivision (GKSD): Hauptmann Waldemar Pabst. Nachdem Anfang Dezember 1918 mit Billigung Eberts der erste Putschversuch der OHL (Obersten Heeresleitung) gegen die Arbeiter- und Soldatenräte gestartet wurde, aber kläglich gescheitert war und Weihnachten der von Ebert ausdrücklich befohlene Angriff mit Kanonen auf die Volksmarinedivision im Stadtschloss am Widerstand der Massen zerbarst, war eines klar: Mit den alten „spartakistisch verseuchten Truppen“ (Pabst) konnte man der Revolution nicht beikommen. Man musste sich neue Einheiten schaffen: Freikorps. Und man musste einen „Arbeiterführer“ an deren Spitze stellen. Der hieß Gustav Noske (SPD). Er hatte sich als Kriegshetzer, Rassist und Kolonialist schon vor 1914 hervorgetan. Bei der Matrosenrevolte in Kiel wurde er als Mann fürs Grobe in die Küstenstadt entsandt. Mit Offiziers­brigaden sollte der Kampf gegen den Sozialismus geführt werden.

Kiel war kein Einzelfall. Wie Groener aussagte, war die Aufstellung von Freikorps schon im November 1918 mit Ebert abgesprochen und „unter der Decke“ weiterentwickelt worden. Dies beweist, die alten Mächte und die SPD-Führung hatten es von Anfang an auf ein Blutbad angelegt.

Noske und sein „rührigster Helfer“ Pabst arbeiteten bestens zusammen. Pabst machte aus der GKSD (Gardekavallerie-Division) mittels junger kaiser­licher Offiziere und gut bezahlter Existenzen aus Bourgeoise, Kleinbürger­tum und Subproletariat eine hochexplosive Kampfmaschine. 40.000 Mann und 70 Offiziere scharte „der kleine Napoleon“ (Groener) um sich. Mit seinen engsten Offizieren plante und führte er die Ermordung Rosa Luxem­burgs und Karl Liebknechts aus, nicht ohne sich telefonisch die Billigung seines Oberbefehlshabers Noskes einzuholen.

Noske wiederum hatte sich im Zuge des Januaraufstandes von Ebert und Co. mit einem militärischen Freibrief ausstatten lassen. Was einst Wilhelm II. der SPD androhte, wurde jetzt unter Führung der SPD Wirklichkeit: Man wollte auf jeden schießen, „der der Truppe vor die Flinte kommt“ (Noske). Höhepunkt war im März 1919 der von Pabst vorformulierte Befehl Noskes zur Gefangenentötung. Ein vorfaschistischer Terrorbefehl, der bis dato seinesgleichen suchte, die Zustimmung der gesamten SPD-Führungsriege fand und Tausenden Menschen in den folgenden Kämpfen das Leben kostete.

Ein Jahr später dankte Pabst seinen Genossen, indem er zusammen mit Kapp und Lüttwitz putschte. Die SPD wurde durch Generalstreik gerettet, ließ aber die Gardekavallerie-Division erneut gegen revolutionäre Kämpfer marschieren.

Der Hochverräter Pabsts setzte sich derweil nach Österreich ab, baute dort die faschistischen Heimwehren auf, kehrte 1930 nach Deutschland zurück, wurde Nazi, Direktor eines Rüstungskonzerns, arbeitete mit Massenmördern wie General Thomas zusammen und spionierte für Canaris in der Schweiz. 1955 kam er nach Westdeutschland zurück und war im Waffenhandel unterwegs. Eine Regierungserklärung von 1966 preist ihn als Vaterlands­retter durch die »standrechtlichen Erschießungen« von Luxemburg und Liebknecht.

Als 1969 ein TV-Spiel Dieter Ertels in der ARD zu Demonstrationen vor Pabsts Haus führte, ließ er sich nicht nur vom Staatsschutz die Namen und Adressen der Demonstranten aushändigen, er dachte auch darüber nach, seine Noske-Connection aufzudecken und Brandts SPD kurz vor den Wah­len zu schaden. Es kam nicht mehr dazu. Er starb 1970 reich und von kei­nem BRD-Organ je verfolgt.